Mentale Stärke im Sport / Vorbereitung und Bewältigungsstrategien
- Patrick Hunkeler
- vor 6 Tagen
- 4 Min. Lesezeit
Der Blick auf den Trainingsplan zeigt heute "nur" kurze intermittierende VO₂max-Intervalle auf dem Rad an. Jeweils 3 × 12 × 40/20 mit 5 Minuten Serienpause. Mein erster Gedanke ist dabei: „Das kenne ich schon, das war beim letzten Mal schon gut machbar.“

Wer kennt das nicht? Die vorgängige naive Einschätzung einer Trainingseinheit oder einer Wettkampfsituation ohne den genügenden Respekt vor der Anstrengung, der Tagesform oder möglicher Konkurrenz – wenn man von einem Wettkampf ausgeht.
Wenn ich von Anfang an mit so einer Einstellung an die Einheit rangehe, stellt sich bereits eine gewisse Erwartungshaltung ein, die ich an diesen Zeitraum knüpfe. Wenn sich dann im Verlauf der Einheit oder des Wettkampfs diese Erwartung nicht erfüllt, entsteht eine kognitive Dissonanz – also der Widerspruch zwischen dem, was ich erwarte, und dem, was tatsächlich ist. Diese Dissonanz kann unangenehm werden, vor allem wenn sie groß genug ist, um eine negative Gedankenspirale in Gang zu setzen, aus der man nicht so leicht wieder rauskommt. Je grösser diese Abweichung ist, umso schwieriger ist es aus dieser Spirale wieder rauszukommen und den Effort zu rechtfertigen. Denn Angenehmer wird es ab diesem Zeitpunkt definitiv nicht mehr.
Um dem vorzubeugen, hilft es, sich rechtzeitig – auch mental – auf die Einheit oder den Wettkampf vorzubereiten und sich bewusst in das hineinzuversetzen, was einem erwartet. Dabei können folgende Strategien hilfreich sein:
Preparedness – Mentale Vorbereitung vor der Einheit
Mentales Rehearsal (Vorstellungstraining)
Stelle dir den Ablauf der Einheit oder des Wettkampfs vor: Strecke, Tempo, mögliche Schwierigkeiten oder Wetterbedingungen.
Visualisiere, wie du souverän damit umgehst oder wie du in Ausnahmesituationen reagieren wirst.
Das Ziel ist es, eine mentale Vertrautheit zu erzeugen → weniger Überraschung, mehr Kontrolle.
Zielsetzung (Goal Setting)
Konkrete, realistische Ziele setzen: z. B. „Ich laufe heute sauber in meiner Zone, egal wie es sich anfühlt.“
Prozessziele statt nur Ergebnisziele: „Ich halte Fokus auf Technik“ statt „Ich muss eine 4:00er Pace laufen.“
Damit erreiche ich, dass ich mich vom Ergebnis löse und den Fokus auf den Prozess lege – das Wie bewerte ich höher als das Was.
If-Then-Pläne (Implementierungsintentionen)
Vorbereitung auf Herausforderungen durch „Wenn – Dann“-Strategien.
„Wenn ich merke, dass ich schwer atme, dann fokussiere ich mich auf eine gleichmäßige Ausatmung.“
„Wenn ich negative Gedanken bekomme, dann sage ich mir: 'Ich bin vorbereitet, ich kann das.'“
Damit lege ich mir schon vorgängig eine Strategie für mögliche Szenarien bereit und bin vorbereitet wenn die auftreten. Zusätzlich lenke ich dadurch meinen Fokus auf eine Alternative.
Stressinokulation
Leichte Konfrontation mit Stress im Training (z. B. bewusst eine Einheit unter Müdigkeit, Hitze oder mit Zeitdruck absolvieren), um die psychische Robustheit zu trainieren.
Mit dem Ergebnis, dass Stress nicht mehr als Alarm, sondern als normal wahrgenommen.

Coping – Strategien während der Belastung
Um in der Stresssituation mit negativen Emotionen umzugehen gibt es viele verschiedene Techniken die man für sich ausprobieren muss um festzustellen was einem am besten liegt. Ich selber stelle mir negative Emotionen während einer Einheit oder während eines Wettkampfes bildlich immer wie eine Ausfahrt auf der Autobahn vor. Ein Ausweg von der Reise auf der ich mich befinde, aber keine Option die mich aktuell dem Ziel näher bringt. Ich nehme sie zur Kenntnis, nutze sie aber nicht. Ich versuche nicht den Gedanken aktiv zu bekämpfen, sondern nehme ihn an, akzeptiere ihn und verwerfe ihn dann wieder. Daneben gibt es aber auch noch andere Möglichkeiten:
Selbstgespräche (Self-Talk)
Positiv oder funktional: z. B. „Locker und ruhig bleiben“, „Ich hab das trainiert“, „Nur bis zur nächsten Kurve.“
Besonders wirksam, wenn es vorher trainiert und automatisiert wurde.
Aufmerksamkeitssteuerung (Focus Control)
Enger Fokus: z. B. nur auf Atmung oder Schrittfrequenz achten.
Weiter Fokus: z. B. Umgebung wahrnehmen zur mentalen Entlastung.
Strategiewechsel je nach Situation bewusst einsetzen und zwischen dem Fokus wechseln.
Rhythmisierung und Struktur
Zählmuster, Schrittzählung, Atemmuster (z. B. 3 Schritte ein, 3 aus).
Gibt Sicherheit und reduziert die kognitive Last.
Auch wenn wir uns das immer einreden, aber es gibt kein echtes Multitasking. Wenn ich mich auf Zählen konzentriere, dann entfällt der Fokus auf die unangenehme Situation.
Chunking
Große Herausforderung in kleinere Abschnitte zerlegen: „Nur bis zur nächsten Verpflegungsstelle“, „Noch 2 km, dann darf ich umdenken.“
Das hilft enorm, eine grosse Aufgabe in Vorstellbare Teilabschnitte zu unterteilen und fühlt sich nicht zu überwältigend an.
Akzeptanz & Reframing
Schmerz, Müdigkeit und Zweifel nicht bekämpfen, sondern annehmen: „Das gehört dazu“, „Das ist ein Zeichen, dass ich arbeite.“
Reframing = neue Bedeutung geben: z. B. „Es tut weh, weil ich an meiner Grenze bin – genau das will ich!“
"Embrace the suck"
Fazit
Ob Training oder Wettkampf: Der Kopf läuft immer mit. Vielleicht nicht auf der Uhr, aber immer im Hintergrund. Eine gute mentale Vorbereitung und funktionale Coping-Strategien sind wie ein zweites Paar Schuhe – sie entscheiden oft darüber, wie weit wir wirklich kommen. Die eingangs beschriebene Einheit war übrigens härter als erwartet. Und gerade deshalb war sie gut. Weil ich mich an meine eigenen Strategien erinnern durfte – und nicht an der ersten Ausfahrt abgefahren bin.
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